...und du mein Schatz bleibst hier.

 

Die historische Ausgangsstiuation für unsere Arbeit:      

In den Kriegsjahren 1939 – 45 haben sich vielfach wiederholt folgende Abschiedsszenen ereignet:

In der Regel waren es Männer in Uniformen, die in Züge stiegen, ihr Ziel war die Front. Ehefrauen/Mütter/Bräute/Verlobte blieben am Bahnsteig zurück. Eine Kapelle spielte „Muß i denn zum Städtele hinaus,.. und du mein Schatz bleibst hier..“

Wesentlich seltener gab es auch Frauen, die Ihre Männer/Bräutigame/Väter ihrer Kinder zurücklassen mußten. Sie hatten aufgrund kriegswichtiger Kompetenzen/Positionen den Befehl ihre Familien zu verlassen, in die Ferne, in den Krieg zu ziehen. Deren Männer mußten in diesen Fällen nicht an die Front, sie blieben bei Haus und Kind.

 

Folgende unbestätigt überlieferte Erzählung hat uns zu dieser Arbeit inspiriert:

„1942 organisierte einer dieser daheimgebliebenen Männer eine Suche nach Schiksalsgenossen, wurde fündig und veranstaltete infolge regelmäßige Zusammenkünfte.

Das erste Treffen dieser Art – 12 Männer waren anwesend – fand am 6. Mai 1942 am Bahnhof in Haag am Hausruck in Oberösterreich statt, die Männer trugen dabei Brautkleider (Gründe dafür, warum sie das taten, sind uns nicht überliefert).“

 

Wichtig: Diese Erzählung ist historisch betrachtet offensichtlich das Ergebnis mehrfacher mündlicher Überlieferung; das bedeutet, das ganze könnte sich auch jemand einfach nur ausgedacht, oder stark verändert und weitererzählt haben. Es existieren keine schriftlichen Aufzeichnungen oder Bilder.

Wir haben es mit einem Gerücht zu tun.

 

Uns interessiert hier jedoch gar nicht so sehr die historische Existenz von Einzelnen, vielmehr erforschen wir anhand dieser vorliegenden Darstellung in einer fachübergreifenden weise (wir berühren dabei die Bereiche Geschichte, Soziologie, Psychologie, Literatur und Kunst)  die archetypische Figur des „zurückbleibenden, daheimbleibenden Mannes“.

 

Die bei dieser Ausstellung präsentierten Fotografien zeigen das Ergebnis eines Fototermins am 6. Mai 2017 am Originalschauplatz, also genau 75 Jahre nach dem überlieferten Termin.

 

In der fotografischen Arbeit haben wir versucht, Hinweise auf mögliche persönliche und gesellschaftliche Kontexte der Figuren zu geben, Hypothesen zu entwerfen und Fragen zu stellen.

 

Ein möglicher gedanklicher Zugang:

 

Mutige, sich zu ihrer Aufgabe bekennende Männer verbinden sich. Ihre Einsamkeit hat nichts Besonderes. Die demonstrative Annerkennung der nach der Norm „weiblichen“ Rolle treiben sie so weit, dass sie bei ihren Treffen Brautkleider tragen.

Das Brautkleid steht für die Einmaligkeit des Hochzeitstages, für die Reinheit der Absichten.

In ihrem Fall wird es zum Bekenntnis der Treue zu ihren Frauen, und zu den Arbeiten und dem Alltag von Frauen im allgemeinen.

 

Diese Männer werden auf ihre Frauen warten.

Sie sind der Schatz, der verbleibt und auf die Wiederkehr hofft.

Sie verkehren das Ritual, sie bewähren sich im Dableiben.

Sie sind konservative und stolze Menschen.

Einige sind Patrioten, alle sind selbstbewußt.

Ihr Kinn tragen sie hoch, ihr Blick ist gerade.

Von anderen Männern werden sie bewundert, von Frauen begehrt.

Das weiße Kleid verweist auf die unvollendete Ehe, auf das irgendwann kommende Glück,

auf den Lebensabschnitt der Zuversicht.

Sie sind Repräsentanten der traditionellen Moral.

Sie erkennen die Möglichkeiten des Wartens.

Sie werden zu Meistern des Wartens.

 

Sie denken nicht an danach, nicht an den Lohn, die Hochzeit, 

das gedachte oder schon gesprochene Ja-Wort.

Die Männer leiden nicht.

Ihre Welt ist ambivalent, sie finden Orientierung und Sinn im Zwischenraum.

 

Ihre Existenz ist absichtslos, ohne jede subversive Bewußtheit.

Es ist gut, wie es ist. Was sie tun, tun sie nicht für andere.

Sie haben keine Angst um ihre Frauen, sie haben keine Angst um sich.

Wenn sie sprechen, tun sie es gelassen und mit leichter Stimme.

Und wenn ihre Frauen nicht zurückkehren werden, natürlich wissen sie um diese Möglichkeit

- sie sind nicht naiv -, wird das Leben für diese Männer weiter gehen.

Sie finden Ruhe in der Gewissheit des richtigen Tuns.

 

Idee, Text: Albert Iglseder

Fotografie: Barbara Ziegelböck, Elisabeth Bernauer, Günter Sichart