DER WEBER

bernhard schwarzenlander

 
Begleittext zur Ausstellung

ausstellung

31.10.-30.11.2014

20erhaus ried

 

vernissage

do. 30. okt. 20:00

einleitung: hanna kirmann

musik: reiter hansi

 

lusion

something that you have that gives you common sense and a clear state of mind. without it you become delusional.*

 

illusion

eine falsche wahrnehmung der wirklichkeit, auch falsche interpretationen und urteile.

 

textil

gewebt, gewirkt, geflochten, zusammengefügt im sinne des aufbauens und gestaltens.

 

text (texere - weben/flechten)

meist schriftlich fixierte, im wortlaut festgelegte, inhaltlich zusammenhängende folge von aussagen.

 

„Die Herstellung von Kunstwerken ist für mich sekundär, was mich interessiert, ist tatsächlich erfahrbare, verfügbare und radikale, anschauliche Denkräume zu erzeugen.“

Ulrike Grossarth**

 

* Urban Dictionary, http://de.urbandictionary.com/define.php?term=lusion

 

** Generali Foundation, Retrospektive Ulrike Grossarth: Wäre ich von Stoff, ich würde mich färben, Wien 2014, http://foundation.generali.at/info/archiv/2015-2013/ausstellungen/waere-ich-von-stoff-ich-wuerde-mich-faerben.html

 

galerie20gerhaus ried

bahnhofstraße 20 A-4910 ried/innkreis oberösterreich

freitag 10 - 12 und 15 -18, samstag 10 - 12

atelier20gerhaus@inext.at

www.20gerhaus.at

 

 

Großer Dank an Armin Schubert für die Fotos der Ausstellungseröffnung!

Einführung textil.lusion

 

Auch im stets betont aufgeschlossenen Kunstzirkus ist die Welt nur allzu gerne schwarz oder weiß. Kunst oder Handwerk. Intellektueller oder Praktiker. Aus-steiger oder Aufsteiger. Es wäre alles so einfach! Zu dumm, dass sich heute hier ein Künstler präsentiert, der sich plötzlich „Weber“ nennt, ein intellektueller Praktiker, eigentlich ein Alphatier, ein Macher, der aber eher das Leben eines Eremiten führt.

Obwohl Bernhard Schwarzenlander seinerzeit als Programmierer und heute als Weber ein Kenner und Anwender binärer Systeme ist, gibt er sich bei Wertur-teilen und Lebensentwürfen mit Schwarz und Weiß nicht zufrieden, und es reicht allein ein Blick in seine Biographie, um zu erkennen, dass hier jemand seinen eigenen, zuweilen steinigen Weg geht. Bauer war er schon, Program-mierer, Taxifahrer, Vertreter, Erzieher und Kunsterzieher im Speziellen. Ähnlich den subtilen Farbmischungen seiner selbst verarbeiteten Naturmaterialen gibt es bei Bernhard Schwarzenlander eben viele, viele Töne dazwischen.

Manches erscheint auf den ersten Blick vielleicht sogar ambivalent. Die Kombi-nation von stellenweise archaisch anmutender Handweberei mit smartphone-tauglichen QR-Codes und urbanem Jargon; die Abschottung nach außen, um uns gleich darauf Einblick in seine innerste Gedankenwelt zu gewähren; der Wunsch nach mehr Empathie und Kritik an der Kopflastigkeit in vielen der Zita-te, die er seinen Webereien zur Seite stellt, wodurch auch eine gewisse Kopf-lastigkeit zum Vorschein kommt. Wie gesagt nur widersprüchlich auf den ers-ten Blick. Authentisch aber allemal, denn Bernhard Schwarzenlander ist all je-nes von vornherein suspekt, das sich nur allzu glatt in irgendein Kästchen zwängen lässt und Ambivalenz prägt, so diagnostiziert er selbst, sein Tun und Denken.

Obwohl er, seitdem er dem Schuldienst den Rücken kehrte, eher zurückgezo-gen in Pattigham lebt, glaubt er an die befruchtende Macht menschlichen Dis-kurses. So argumentiert bzw. erklärt er auch die heute hier präsentierte Kom-bination von Textil und Text.

Die Textilen Künste haben sich seit ihrem großen Niedergang in ihrem Selbst-bewusstsein nicht mehr vollständig erholt. Schwarz-Weiß gedacht, existieren sie entweder als vom Künstlerischen völlig entkoppelter, hochtechnisierter Produktionsvorgang oder als weltfremde, auf ein paar technikverweigernde Schafwollpulloverromantiker beschränkte Liebhaberei, die von den sog. „wah-ren“ Künsten ins unbeliebte „Kunsthandwerkseckchen“ gestellt wird.

Aus diesem Rechtfertigungskomplex heraus entwickelten sich mehrere Strate-gien. Die einen verstecken sich hinter rein Funktionalem und lassen das Ästhe-tische außen vor. Die anderen fürchten sich, weil Kunst- bzw. Nicht-Kunstkriterium, vor der Funktion, biedern sich an die Malerei an oder verbrä-men textile Ästhetik nachträglich mit intellektuellem Inhalt.

Keines von beiden ist hier der Fall. Bernhard Schwarzenlanders Gewebe sind und bleiben - wenn auch teilweise gerahmt - Gewebe und keine Bilder, was nicht bedeutet, dass sie nicht hochästhetisch sind. Der Rahmen definiert ledig-lich das Fragment in seiner Abgeschlossenheit und unterstützt seine Wertigkeit. Vielleicht erinnert uns der Rahmen auch daran, dass uns manchmal leider erst der Rahmen um etwas, gleich dem Sucher einer Kamera, dahingehend er-mahnt, genauer hinzusehen.

Obwohl er den Didaktiker oft nicht verbergen kann und will, dienen die literari-schen Fragmente hier weder einer Belehrung des Betrachters noch empfindet man eine aufoktroyierte nachträgliche Intellektualisierung. Es geht dem Künst-ler darum, sehr wertfrei, Zitate und Gedanken zu präsentieren, die ihn bei der Arbeit an diesen Geweben beschäftigten, also um die Dokumentation eines Prozesses und darum, ohne vorgegebene Richtung zum Denken anzuregen.

Christian Morgensterns Gedicht „Was denkst du“ und die in Analogie dazu ent-standene Bearbeitung des Künstlers, die wir eben gehört haben, vergleicht die komplexen, für Nicht-Weber oft undurchschaubaren Vorgänge in der Weberei mit jenen, für Außenstehende nicht lesbaren Vorgänge in unserem Denken. Dieses Bild ist nicht nur ein schönes, sondern ein durchaus nachvollziehbares.

Wer jemals eine Kette aufgebäumt hat, weiß, wie schwer es sein kann, sich nicht in diesen unzähligen Fäden zu verheddern. Jeder Faden hat seinen Platz. Und so bedarf es vielleicht auch einer gedanklichen Ordnung und Struktur, um in der Erkenntnis zu einem Ergebnis zu gelangen und sich nicht in verschiede-nen Gedankensträngen zu verzetteln, damit sich widersprüchliche Knoten auf-lösen und sich die vom Philosophierenden angestrebte Klarheit einstellen kann. Es gibt eine Reihe von Redewendungen, die sich textiler Terminologie bedienen, um gedankliche Vorgänge zu beschreiben. Die langwierigen, oft monotonen Handgriffe sind zwar auf den ersten Blick ermüdend, doch sie fungieren auch als eine Art Psychohygiene; der Kopf wird klar, die Gedanken ordnen sich, gleich der Ordnung der Fäden, die der vorgegebenen Struktur, der „Kette“ un-seres Denkens ähneln und ein schönes Bild für die schon von Schopenhauer bezweifelte Freiheit des Willens abgeben.

Trotzdem, innerhalb der Grenzen unseres Denkens gibt es, wie in der Weberei, unzählige Varianten. Aufbauend muss man vorgehen, erst die simpelsten Vor-gänge durchblicken. Dies gibt letztendlich jene Sicherheit im Tun und Denken und führt, ohne die Mechanismen totalitärer Systeme oder religiöser Dogmen zu benötigen, zur Kontingenzbewältigung aus dem eigenen Selbst heraus und somit zu wahrer Freiheit im Denken und Tun.

Der Spruch „Kunst kommt von Können“ ist wahrlich überstrapaziert und schon längst zur Plattitüde verkommen, doch wie viele Plattitüden besitzt er einen wahren Kern.

Wer Bernhard Schwarzenlander kennt, der weiß eines: Egal, was er macht, er macht es sich nicht leicht. Vieles, das wir tagtäglich sehen, worauf wir reagie-ren, vieles, das wir tun oder denken, funktioniert zunehmend über Effektha-scherei, Schnelligkeit, oberflächlichen Ästhetizismus. Bücher werden nicht mehr gelesen, Autoren lediglich zitiert, selbst ganze Weltanschauungen werden je nach Mode kopiert, konsumiert und über Nacht wieder ausgetauscht.

Fast masochistisch wirkt hingegen diese Suche nach Wahrhaftigkeit, dieser An-spruch. Der Wunsch, wahre Sicherheit im Tun und somit Erdung in der Welt zu erlangen, fordert, alles selbst zu bewältigen, jeden Schritt zu durchblicken, das Material zu bearbeiten, zu spinnen, zu färben, Webstühle zu bauen, zu adaptie-ren, nichts Vorgegebenes unhinterfragt zu übernehmen und zuguterletzt: all diese Bücher auch zu lesen. Mit diesem Anspruch auf Authentizität geht Bern-hard Schwarzenlander den Dingen auf den Grund und bewältigt nicht nur alle Phasen der Weberei und künstlerischen Gestaltung aus eigener Kraft, sondern überzeugt ganz nebenbei auch mit fundierter Literaturkenntnis und – in den 10 Titeln seiner Fragmente sichtbar – auch mit allgemeingültiger philosophischer Essenz seiner jahrelangen Auseinandersetzung.

Also was jetzt? Weber? Denker? Philosoph? Künstler? Schwarz oder Weiß? Warum nicht einfach Schwarzenlander?

 

Hanna Kirmann, Oktober 2014