MAI 2016

Einführung Fritz Klier: Das wirkliche Leben

 

Hinter dem leicht dahingesagten Wort wirklich – wirklich? wirklich! – verbirgt sich ein Feld von Bedeutungen: was wirkt, schafft Wirklichkeit, was ineinander wirkt erzeugt letztlich ein Gewebe ... jenes Gewebe aus den bildlichen Schicksalsfäden, das wir Leben nennen. Indem wir mehr oder weniger wirksam an diesem Gewebe mitwirken, sind wir allemal Gestalter unseres Lebenslaufs.

Wenn ein Künstler wie Fritz Klier – er wurde heuer 70 – sich dieses Themas annimmt, darf man mit Recht davon ausgehen, daß sich seine Betrachtungen aus einem breiten Fundus eigener Erfahrungen speisen. Sowohl als Künstler als auch als Mensch ist Klier nie den einfachen Weg gegangen: es sind ihm buchstäblich weder Herrenhäuser noch Holzhütten fremd. Ein selbst bestimmtes und selbst gewirktes Leben mit erschreckenden Tiefen und neiderregenden Höhen ist vielen „ordentlichen Bürgern" ein Dorn im Auge – um so mehr, wenn es zur Grundlage künstlerischer Betrachtungen wird: dann nämlich ermöglicht die ehrliche Betrachtung seiner selbst dem Künstler, auch seinen Mitmenschen in die Karten zu blicken.

Fritz Klier tut dies mit dem sicheren Strich von Ölkreide, Kohle und Rötel. Mit hartem Strich und aggressiv das eine, fast zärtlich leicht das andre Mal, dann wieder dynamisch und schwungvoll – der zeichnerische Duktus ist immer auch Ausdruck von Emotion und Befindlichkeit, ohne aber jemals in seichte Empfindelei abzugleiten. Meist bedient er sich seiner ganz eigenen Bildsprache, die Elemente sowohl von Allegorie als auch Karikatur enthält, aber keinem der beiden Genres ganz zuzuordnen ist. Sein Zyklus mit Maus und Igel, der einen Gutteil der Ausstellung ausmacht, erinnert an die Tierfabeln des Aisopos: auch hier spiegeln Tiere gleichnishaft menschliche Regungen und Schwächen. So führen beispielsweise Maus und Igel vor, wie zwei durch ihre Gestalt (= „Schicksal“) eigentlich auf Rollen festgelegte Individuen sich gegenseitig aus dieser Festlegung befreien können: die Maus lockt den Eingeigelten aus der Reserve, der Igel gibt der Maus Selbstvertrauen ... gegenseitige Ein-Wirkung: das wirkliche Leben hat auch gute Seiten.

 

Georg Thuringer, Passau, Mai 2016