Annerose Riedl

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Fotos: Renate Schrattenecker-Fischer, Franz Wawrinek, Herta Gurtner

Eröffnungsrede von Eva Maria Manner zur Ausstellung Annerose Riedl:

„Andere Seiten“ am 5. März 2020 in der galerie20gerhaus, Ried i.I.

 

Zu allererst hat mich dieser Ausstellungstitel an den phantastischen Roman Die andere Seite von Alfred Kubin erinnert. Diesen dichten Gedanken habe ich dann gleich wieder verworfen, weil mich mein Interesse für Etymologie dazu verleitete, die Herkunft der naheliegenden Redensart „andere Saiten aufziehen“ zu ergründen. Ursprünglich im Zusammenhang mit Saiteninstrumenten stehend, wonach andere oder neue Saiten einen veränderten Klang erzeugen sollten und sprichwörtlich für ein milderes Vorgehen und einen freundlicheren Umgangston standen, wurde die Bedeutung der Redewendung im Laufe der Zeit ins Negative transponiert.

Nicht so bei Annerose Riedl, deren Arbeiten zwar die Seiten – also den Standort vom Boden an die Wand – wechseln, aber in ihrer Grundthematik inhaltlich mehr oder weniger gleich ausgerichtet bleiben und in ihrer wohlgesonnenen Art eher der ursprünglichen Bedeutung der Redensart entsprechen.

Die am liebsten mit grobem Werkzeug geschnittenen und anschließend farbig gefassten Skulpturen der Bildhauerin sind aus dem Oeuvre der österreichischen Kunstlandschaft nicht mehr wegzudenken. Seit den 1980er Jahren arbeitet die gebürtige Passauerin plastisch mit den Werkstoffen Gips, Papiermaché und in Folge Bronze sowie vor allem mit Holz. Aus letzterem schneidet sie – nach Möglichkeit bevorzugt mit Motorsäge und im Anschluss unter Verwendung feinerer Holzwerkzeuge – Tierbilder, Porträtköpfe und „meist herrliche dicke Weiber“ – wenn ich Alois Riedl aus dem Werkkatalog mit einem Vorwort von Otto Breicha zitieren darf.

Sind ihre anfänglichen Figuren meines Erachtens vom Wesen her noch eher verschlossen – was die unebenen, aber in ihrer Gesamtheit doch geschlossenen Körperkonturen und die auf meist halslosen Oberkörpern sitzenden oder herauswachsenden Köpfe zum Ausdruck bringen – so präsentieren sich die Frauen heute – etwas überzeichnet formuliert – als selbstbewusste Individuen erhobenen Hauptes.

Dementsprechend sehe ich die ursprünglichen Sockel als Notwendigkeit an, die Figuren der Verwurzelung bedürftig stehend präsentieren zu können, wobei die Frauen jüngeren Entstehungsdatums scheinbar auf Podeste gestellt werden, um unterschiedliche Anschauungen, Haltungen etc. mit einer Selbstverständlichkeit zu repräsentieren, die es über Jahre hinweg zu erlangen galt. Diese Entwicklung geht bis hin zu freistehenden Frauenbildern, die uns ungezwungen im freien oder geschlossenen Raum begegnen können.

Der eher massive und von Unebenheiten geprägte Körper des Riedl’schen Frauenbildes ist seit jeher von Charme durchdrungen und wird im Vergleich zum scheinbar allgemeingültigen schlanken Frauenideal unserer Gesellschaft paradoxerweise nie negativ hinterfragt, angezweifelt oder belächelt, sondern gilt als interessant, reizvoll, selbstbewusst und lebensnah, was eine bunte Sammlerschaft zur Folge hat. Die hinreißenden, oft thematisch verankerten Frauenskulpturen werden belegbar von jedermann und jederfrau positiv rezipiert und geschätzt.

In dieser Ausstellung sehen wir neben einigen im Raum platzierten Skulpturen auch Tonfiguren zum Serientitel Unter die Haut. Beim Betrachten beobachten wir, wie wortwörtlich die Hände der tönernen Frauen unter die vergleichsweise glatte Körperoberfläche geschoben werden und nach innen dringen wollen. Konnotieren wir mit dem sprichwörtlichen unter die Haut gehen, Ereignisse, Nachrichten, Schicksale etc. die uns ergriffen machen, so stellt Annerose Riedl hier plastisch Gefühlsmomente dar, die genau diese Empfindungen evozieren (können), wobei die Gesichter der Figuren ruhig und gelassen wirken.

Auf der anderen Seite – und so schließt sich der Kreis zum Ausstellungstitel – präsentieren sich an den Wänden meist gerahmte Holzreliefs mit weiblichen Brustbildern und landschaftlichen Auszügen. Mittels ausgeschnittener Hintergründe wird ein Durchblick auf die Wände freigelegt und somit räumliche Tiefe geschaffen, die von der Schattenbildung der Darstellungen nochmals verstärkt wird. Der bildimmanente Holzrahmen säumt das Gezeigte ein, mag es festhalten, überhöhen oder auch nicht. Er ist jedenfalls Teil des Ganzen und umschließt kompakt. Diesem Rahmungssystem entspricht auch die Relief-Leiter, deren skulpturale Darstellungen zwischen den Sprossen eingebettet sind.

Die spezielle, sehr eigenständige Formsprache in Skulptur und auch Radierung von Annerose Riedl wurde 2005 mit dem Landeskulturpreis für Bildende Kunst gewürdigt. Zudem besitzt das Land Oberösterreich Arbeiten der bekannten Bildhauerin, die in der Kunstsammlung des Landes im Ursulinenhof zu entlehnen bzw. zu besichtigen sind. Zahlreiche private und öffentliche Sammlungen im Ausland befinden sich ebenfalls im Eigentum Annerose Riedl‘scher Werke, was die Künstlerin als etablierte und renommierte Kunstschaffende ausweist und ihr bisheriges Oeuvre krönt.

Ich denke es ist der in der Kindheit geprägte, natürliche, authentische, unkomplizierte, unmittelbare Zugang, den Annerose Riedl immer wieder zum Holz und zu ihren Werken findet. Das wurde mir beim Durchblättern des Kataloges zur Gemeinschaftsausstellung Skulptur – Figur – Weiblich der Landesgalerie Oberösterreich bewusst, dessen bunter Inhalt in mannigfacher Art mancherorts zu konstruiert und künstlich erscheint. Ein Umstand, der meines Erachtens auch das gegenwärtige Weltgeschehen prägt. Dabei sehnt sich jeder einzelne/jede einzelne nach mehr Echtheit, Offenheit, Geborgenheit, Zuversicht, Toleranz usw. – Werte, die zunehmend vernachlässigt, doch von den Frauen-/Figuren Annerose Riedls in Gelassenheit vertreten werden.

 

Eva-Maria  Manner

 

Fotos der Vernissage: Renate Scharattenecker-Fischer, Franz Wawrinek